- italienische Literatur: Dichtung und Risorgimento - Foscolo, Manzoni, Leopardi
- italienische Literatur: Dichtung und Risorgimento - Foscolo, Manzoni, LeopardiIn der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Literaturproduktion in Italien vor allem von zwei Faktoren beeinflusst: Einerseits von der politischen Situation - zunächst der napoleonischen Herrschaft, dann der Restauration und schließlich dem »Risorgimento«, der Einigung Italiens -, andererseits von der Romantik, die aus den nördlichen Ländern Europas kam. Besonders drei Schriftsteller wussten die neuen künstlerischen Impulse mit betont italienischen Inhalten zu verbinden.1802 veröffentlichte der Venezianer Ugo Foscolo den zweiteiligen Briefroman »Die letzten Briefe von Jacopo Ortis«: eine gefühlvolle Lebensbeichte des Titelhelden. Der fiktive Empfänger der Briefe fungiert als Herausgeber und Kommentator dieses Romans. Der junge, patriotische Ortis muss nach dem Vertrag von Campoformio, bei dem seine Heimat Venedig erneut an die Österreicher gefallen war, diese verlassen. Er berichtet, wie er sich im Exil in Teresa verliebt, mit der es trotz gegenseitiger Zuneigung zu keiner Verbindung kommt, da Teresa bereits versprochen ist. Enttäuscht begibt sich der junge Mann auf eine Reise durch Italien, wo er sich überall mit der ruhmreichen Vergangenheit seines Landes konfrontiert sieht. Der Verlust von Heimat und Geliebter wird durch diese Erfahrung potenziert, und Ortis findet keinen anderen Ausweg als den heroischen Selbstmord. Wegen formaler und inhaltlicher Parallelen zu Goethes »Werther« wurde Foscolo als Nachahmer heftig kritisiert. Sein Werk etablierte die Gattung des Romans in Italien als Träger ernsthafter Inhalte, nachdem ihr trotz großer Beliebtheit stets der Ruf eines auf Profit zielenden, vor allem zur Unterhaltung der Frauen dienenden Genres angehaftet hatte. Im Anschluss an die Romankultur Englands forderte Foscolo nun auch in der italienischen Literatur einen festen Platz für den Roman, der ihm besonders geeignet schien, ein bürgerliches Publikum anzusprechen. In seinen Werken verband er romantische Einflüsse mit dem politisch-nationalen Motiv. Pessimismus, Depression und Verweigerung nähren sich nicht nur aus der unglücklichen Liebesgeschichte, sondern besonders auch aus dem desolaten Zustand des eigenen Landes.Stärker noch schlägt sich Foscolos Kritik an der politischen Teilnahmslosigkeit seiner Zeitgenossen im »Gedicht von den Gräbern« (1807) nieder. Foscolo mahnt hier am Grab des Dichters Parini, das durch ein Edikt Napoleons namenlos geblieben ist, zur Erinnerung an die Toten. Ihr Vorbild könne die Lebenden darin bestärken, gegen Knechtschaft aufzubegehren und für eine freie, unabhängige Heimat zu kämpfen. Auch hier wird das Thema der präromantischen englischen Gräberlyrik, in Verbindung mit einer dunklen, mythologisierenden Sprache, um die auf Italien abzielende politische Aussage erweitert, die das Gedicht zu einem der wichtigsten Texte für das Risorgimento werden ließ.Die ebenfalls aus England kommende, durch die Romane Walter Scotts hervorgerufene Mode des historischen Romans nahm in Italien der Mailänder Schriftsteller Alessandro Manzoni auf. Er ließ sich in seinem Roman »Die Verlobten«, der erstmals 1827 erschien, von diesem Vorbild inspirieren, gestaltete die Form jedoch in einer spezifischen, Italien angemessenen Art neu. Manzoni greift in seinem Roman auf einen Stoff aus der Lombardei des 17. Jahrhunderts zurück. Diesen bettet er in einen fiktiven Erzählrahmen ein und gibt sich selbst als distanzierter Bearbeiter eines alten Manuskripts aus, um die Glaubwürdigkeit des Erzählten zu erhöhen. Die episodenreiche Handlung rankt sich um die Geschichte der Verlobten Renzo und Lucia, die, durch unglückliche Umstände und die Wirren der Zeit getrennt, erst am Ende des Romans zueinander finden, heiraten und eine bürgerliche Existenz aufbauen können. Das Schicksal des Paares dient als Erzählgerüst. Ständig wechselnde Schauplätze und Einzelschicksale runden es zu einem Ganzen und bieten ein eindringliches Panorama der historisch-politischen Realität Italiens unter der spanischen Fremdherrschaft. Die leitenden Gedanken bei der Konzeption der unzähligen Gestalten seines Romans waren für Manzoni der Glaube an die Humanisierbarkeit des Menschen und die Überzeugung, dass ein menschenwürdiges Miteinander nur im Zeichen eines mutig Widerstand leistenden, handlungsbezogenen. Christentums möglich sei. Der Autor deckt die ganze Skala menschlicher Eigenschaften, zwischen machtbesessener Grausamkeit und tugendhafter Gewaltlosigkeit ab; er bleibt jedoch darauf bedacht, vielschichtige Charaktere zu zeichnen, die die Entwicklungsfähigkeit des Menschen dokumentieren. So illustriert beispielsweise die Bekehrung des hochgradig gewissenlosen und gewalttätigen »Ungenannten«, der durch die selbstlose Demut Lucias und die gütige Menschlichkeit des Kardinals auf die rechte Bahn gebracht wird, die Möglichkeiten der positiven Einflussnahme tugendhafter, im christlichen Sinne engagierter Vorbilder. »Die Verlobten« genossen bei ihrem Erscheinen nicht nur in Italien eine große Aufmerksamkeit. Der Roman wirkte hier jedoch über seine inhaltlich-stilistischen Besonderheiten hinaus. In seiner zweiten Fassung tilgte Manzoni alle lombardischen und archaisierenden Ausdrücke und entwarf eine auf dem gesprochenen Toskanisch basierende Literatursprache. Damit gab er der Entwicklung einer einheitlichen italienischen Sprache einen entscheidenden Impuls.Den Höhepunkt romantischer Dichtkunst in Italien stellen die »Canti« (»Gesänge«) Giacomo Leopardis dar, die dieser vor allem in der Zurückgezogenheit seines Heimatortes Recanati zwischen 1817 und 1836 verfasste. In einer von Pessimismus geprägten, stark subjektiven Lyrik zeichnet Leopardi in den 41 Gedichten dieser Sammlung ein Bild der Welt, in dem die Gegenwart mit ihrem Patriotismus und Wissenschaftsglauben im lyrischen Ich nichts als Wehmut, Schmerz und Ekel hervorruft und der Tod als Erlösung erscheint. Zwar können Hoffnung und Erinnerung diese negative Grundstimmung kurzzeitig überwinden, doch sie bleiben Täuschung: »Bitterkeit und Überdruss ist das Leben, nichts anderes, und die Welt ein Dreck«. Die herbeigesehnte Einheit mit der unverdorbenen Natur erfüllt sich auf vollendete Weise im Gedicht »Unendlichkeit« (1819), in dem das lyrische Ich, ausgehend von der Vertrautheit der es umgebenden Natur, gleichzeitig deren unfassbare Ferne empfindet und sich gleichsam in seinem Fühlen der kosmischen Welt verliert. Leopardi verbindet in seinen Gedichten eine hochmusikalische Sprache, die sein intensives Studium der lateinischen und griechischen Klassiker verrät und deutlich in der italienischen Tradition steht, mit einer stark romantisch geprägten Subjektivität. Viele seiner philosophischen Gedanken, die er auch immer wieder in seinem Notizbuch, dem »Zibaldone«, ausführte, nehmen jedoch bereits die Grundthemen der Moderne vorweg - beispielsweise die nihilistische Welteinstellung und das Gefühl der »Noia«, des Lebensüberdrusses.Andrea-Eva SmolkaHardt, Manfred: Geschichte der italienischen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Düsseldorf u. a. 1996.
Universal-Lexikon. 2012.